Als am 23. Februar die internationale Modebranche in Mailand zusammentraf, um in den nächsten Tagen die Inszenierungen der neuen Herbst/Winter-Kollektionen aus den Häusern Gucci, Fendi und Co. zu bewundern, lief alles in seinen geregelten Bahnen ab. Die ersten Sonnenstrahlen, Fashion-Reportagen in der Modefachpresse über die neuesten Trends sowie Modeschauen en masse, die den ein oder anderen Terminkalender aus allen Nähten platzen lassen. Doch der Höhepunkt des Modespektakels gebührte dieses Mal nicht einer der Shows, sondern der Suspendierung des Dior-Chefdesigners John Galliano. Er wird beschuldigt, ein Paar mit antisemitischen Äußerungen beleidigt zu haben. Der (Reputations-)Schaden wird für Galliano wie auch für das Traditionsunternehmen nicht so schnell wieder gut zu machen sein.
Kurz zu den Fakten: Dem exzentrischen Modevirtuosen wird vorgeworfen, am Donnerstagabend im Pariser Szeneviertel Marais in einer verbalen Auseinandersetzung einem Paar rassistische Äußerungen an den Kopf geworfen zu haben. Nachdem der Designer festgenommen und einem mehrstündigen, polizeilichen Verhör unterzogen worden ist, wurde er anschließend wieder freigelassen. Galliano hatte das Paar derweil selbst wegen Diffarmierung verklagt und bestritt die Vorwürfe gegen ihn vehement. Der suspendierte Dior-Chefdesigner ließ verlauten, er sei selbst Opfer “verbaler Angriffe” geworden. Zunächst stand Aussage gegen Aussage (vgl. SZ & Zeit). Die Vorwürfe des Ehepaars haben sich mittlerweile allerdings als gerechtfertigt bestätigt. Auf der Website der englischen Boulevardzeitung The Sun wurde ein Videomitschnitt der Bar-Szene veröffentlicht.
Dior-Chef Sidney Toledano suspendierte Galliano mit sofortiger Wirkung von seinen Aufgaben. Unter Berufung auf die Null-Toleranz-Politik des Modeunternehmens gegenüber jeglichen rassistischen und antisemitischen Äußerungen wurde selbst auf Verdacht hin die Suspendierung des Chefdesigners angekündigt. Dies scheint nach der Veröffentlichung der Beweise jedoch die richtige Entscheidung gewesen zu sein. Allerdings handelt es sich um einen reichlich ungünstigen Zeitpunkt für eine solche Krise, sollte Galliano doch die neue Herbst/Winterkollektion im Rahmen der Prêt-à-porter-Schauen am 4. März präsentieren.
Personalkrisen sind heutzutage ungeheuer populär und äußerst medienwirksam. Das haben nicht nur die Krisen von Tiger Woods, Bill Clinton oder die Karl-Theodor zu Guttenbergs gezeigt. Je prominenter das Opfer, desto mehr Bedeutung wird der Schlagzeile zugesprochen und desto höher fällt der Nachrichtenwert aus. Persönliche Schicksale, Intrigen, Bereicherung, Schadenfreude – Personenkrisen haben eine emotionale Sprengkraft. „Streit, Mobbing, Korruption, Justiziables, Fehlverhalten sind für Medien und Öffentlichkeit meist nur dann interessant, wenn es eine bekannte Organisation, einen prominenten Zeitgenossen trifft“ (Ditges, Höbel & Hofmann, 2008: 128). Der Nachrichtenwert von Personenkrisen hat noch einen anderen Grund. In solchen Fällen geht es nämlich zudem “um subjektive Parameter [Recht/Unrecht, Schuld/Unschuld] bei denen sich viele für befähigt halten, von Anfang an mitreden zu können, da sie entsprechende Verhaltensweisen aus ihrem eigenen Leben kennen” (Ditges, Höbel & Hofmann, 2008: 128).
Tiger Woods, Bill Clinton und nicht zuletzt unser Verteidigungsminister erfuhren Kritikwellen, die exemplarisch das Ausmaß aufzeigen, das Personenkrisen durch intensive Medienberichterstattung annehmen können. Und genau hier war und ist nun das Krisenmanagement von Dior gefragt. Denn „Medien sind meist der Auslöser und nicht die Verursacher von Krisen. Sie sorgen aber für eine Dramatisierung der Berichterstattung und Beschleunigung des Krisenverlaufs“ (Mast, 2008: 104).
Egal auf welche Ursache die Krise letztlich zurückzuführen ist, sei es ein Gerücht oder ein Fakt – Organisationen müssen sich mit allen erdenklichen Maßnahmen gegen jedwede negativen Einflüsse abschirmen. In diesem Fall ist genau das der Punkt, warum Sidney Toledano an der Null-Toleranz-Politik Diors konsequent festhält. Schaut man jedoch über den Tellerrand, so wird einem auffallen, dass eine solche Krisenhandhabung nicht gerade exotisch ist. Dass Organisationen einen Sündenbock identifizieren, auf den die Verantwortung für die kritische Lage abgewälzt werden kann, ist nichts Neues. Ein prominentes Beispiel ist zum Beispiel der Trainerrausschmiss beim Fußball.
Es geht darum, massive Schadensbegrenzung zu üben. Dior ist auf der ganzen Welt vertreten, macht rund ein Drittel seines Umsatzes in Asien (vgl. Modepilot). Muriel Piaser, Messeleiterin von Prêt à Porter Paris, bringt es auf den Punkt:
“I think the situation is not tenable for Dior, Dior sells everywhere around the world. Fashion sells dreams but it also involves respecting certain ethical codes” (Muriel Piaser).
Und genau das ist der Punkt, wieso Dior so rigoros in seiner Entscheidung war. Ein Unternehmen in der Größenordnung und in der globalen Ausrichtung kann sich solche ethischen Aussetzer des Personals nicht leisten. Dies mag nicht nur im Tabu selbst liegen. Unternehmen müssen sich heute ihrer gesellschaftlichen Verantwortung mehr denn je bewusst sein. Eine solche Äußerung und deren falsche Handhabung kann die Glaubwürdigkeit und damit die Existenz der ganzen Organisation bedrohen. Eine nicht angemessene Reaktion kann eine Kettenreaktion auslösen, die das Unternehmen von einer Krise in die nächste katapultiert (vgl. Pearson & Mitroff, 1993: 52; Mitroff, 1994: 105). (Potentielle) Krisen erfordern daher schnelles und verantwortungsbewusstes Handeln. Und noch viel wichtiger: Dieses Handeln muss von den relevanten Stakeholdern auch als solches wahrgenommen werden.
„[Stakeholders’] perceptions are more important than reality. The important point is not whether the business in fact is responsible for the offensive act [...or] if the act was in fact offensive, but whether [it] is believed by the relevant audiences to be [the case]” (Benoit, 1997: 178).
Die potentielle Sprengkraft einer solchen Krise wird u.a. auch daran deutlich, dass die ersten Boykott-Aufrufe schon getwittert werden, obwohl sich das Unternehmen von Gallianos Äußerungen in jedweder Hinsicht distanziert. Es ist die „Erhaltung und erfolgreiche Weiterentwicklung des Unternehmens, die als letztlich oberstes Ziel des Unternehmens gesehen werden kann“ (Krystek, 2006: 45 in Anlehnung an: Hahn & Hungenberg, 2001: 13). Dies hat Dior mit seiner Reaktion eindeutig bewiesen.
Sind die Mailänder Modewochen vorbei, wird das Modevolk weiter nach Paris ziehen. Bei den Prêt-à-Porter-Schauen wird die Modewelt John Galliano dieses Mal nicht am Ende der Dior-Show zu Gesicht bekommen. Bis lang waren aufwendig inszenierte Shows eines seiner Markenzeichen. Nun wird es Ihn einigen Aufwand kosten, aus dieser Krise wieder herauszukommen. Diors Problem ist das allerdings nicht mehr…
Update: Heute (01. März) verkündete Dior offiziell, an der Suspendierung festzuhalten. Zusätzlich distanzierte man sich nochmals ausdrücklich von den Äußerungen Gallianos.
Update: Am 04. März erfolgte zudem eine Entschuldigung seitens Dior. Mit der aktuellen Pressemitteilung versuchte man sich nochmals von Gallianos Behauptungen zu distanzieren und bat um eine differenenzierte Sichtweise auf die Tatbestände, vertrete Dior schließlich in keinerlei Hinsicht anti-semitische Sichtweisen. Ziel wird es dabei vorwiegend sein, die negative Konnotation der Anschuldigungen von der Marke abwzuenden und den Tatbestand der Anschuldigungen in einem anderen Zusammenhang zu verorten. Galliano ist nicht gleich Dior. Der Verweis auf die familiäre Geschichte Christian Diors und die daraus entstandenen und fest verankerten Werte des Unternehmens unterstreichen dies.
Update: Abends ging schließlich Gallianos letzte Modeschau für Dior über die Bühne. Wie zu erwarten ohne den ehemaligen Chefdesigner. Wie Modepilot berichtet, glich die Show außerhalb des Musée Rodin einem Staatsempfang mit Sicherheitsstufe Eins. Keine einzige Anti-Rassismus-Gruppe habe sich formiert. Zu Beginn der Show hatte Dior-CEO Sidney Toledano eine Rede vorbereitet, in der er nochmals auf die Werte sowie die Rassismus-Parolen Gallianos Bezug nahm und klarstellte, dass Dior keinerlei Toleranz gegenüber solchen Äußerungen und Einstellungen habe.
Update: Die schlechte Presse über Dior hat sich inzwischen wieder auf ein Minimum reduziert. Auf Twitter konzentriert man sich auch wieder ausschließlich auf Modeaspekte und die Kernkompetenzen Diors. Das Modehaus kann also durchaus zufrieden sein über das Ergebnis seines Krisenmanagements. Und dennoch kann der Vorwurf formuliert werden, dass diese Krise erst gar nicht zu einer Krise hätte werden müssen, wenn man im Bereich Issue Management besser aufgestellt gewesen wäre, so managingoutcomes. “In some cases, especially of individual misdemeanour, organizations deliberately turn a blind eye to the views and actions of highly talented people which would not be tolerated in ‘ordinary employees’ [...]. Individual misbehaviour can shred reputation and profits, and organizations must put effective crisis prevention plans in place long before it all turns into tabloid headlines” (Tony Jaques, 2011).
John Galliano steht im Rampenlicht. Dieser Tatsache müssen sich Celebrities, aber auch ein jeder Mitarbeiter und erst recht die, die in höheren Positionen Verantwortung übernehmen, bewusst sein. Einfach das Licht ausknipsen und alles hinter sich lassen? Das ist nicht möglich, wenn man erst einmal zu Ruhm und einem hohen Bekanntheitsgrad gekommen ist. Ob CEO, CFO oder wie in diesem Fall der Chefdesigner – das Verhalten solcher Personen hat immer einen Einfluss auf die Organisation, sei es an der Arbeit oder im privaten Kreis. Das ist die Kehrseite der Medaille und muss sowohl den betroffenen Personen als auch der Organisation als solche stets bewusst sein (vgl. Véronique Schyns, 2011).
Ein gut funktionierendes Issues Management weiß von solchen Tatsachen. Es identifiziert proaktiv relevante Themen [Issues] einer Organisation, steuert und beeinflusst deren Lösung, bzw. die Kommunikation über diese Themen, so dass Krisen wenn möglich in ihrem Keim erstickt werden. Die Früherkennung konfliktreicher Themen ist die zentrale Aufgabe im Issues Management (vgl. Jarren und Röttger, 2005: 31f.). Organisationen tuen gut daran, mehr zu leisten, als lediglich die Entwicklung eines Themas oder einer Krise wiederzugeben: „[Because] issues and crises can beget one another […] communications professionals […] create discourse that emphasizes the dramatic dimensions inherent in it [crisis/issue] and invite the involvement of the publics with the organization in communication about it“ (Smudde, 2001: 36).
Dior sollte sich diese Krise nochmals zu Gemüte ziehen. Vielleicht schafft man es sogar, in einer fundierten Krisenevaluation eventuelle Schwachstellen des Kommunikationsmanagements für die Zukunft auszubessern. Dennoch darf man Dior zur vorbildlichen Handhabung der Krise nach ihrem Eintritt gratulieren. Wie es für Galliano weitergehen wird, ist schwer abzuschätzen. Da ist noch einiges an Wiedergutmachungsarbeit zu leisten. Eine Möglichkeit skizziert CW Fong auf associatedContent. Ob Galliano nun allerdings für die britische Supermarktkette Asda designt, ist aber glaub ich eher als Aprilscherz aufzufassen.
Quellen:
- Benoit, W. L. (1997): Image Repair Discourse and Crisis Communication. In: Public Relations Review, H. 23(2), S. 177–186.
- Ditges, F.; Höbel, P. & Hofmann, T. (2008): Krisenkommunikation. Konstanz: UVK Verlag.
- Jaques, T. (2011): Dior hires crisis management experts . . . too late. URL: http://managingoutcomes.wordpress.com/2011/03/09/dior-hires-crisis-management-experts-too-late/
- Jarren, O. & Röttger, U. (2005): Public Relations aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht. In: G. Bentele; R. Fröhlich; P. Szyszka (Hg.): Handbuch der Public Relations. Wissenschaftliche Grundlagen und berufliches Handeln. 1. Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 19–36.
- Krystek, U. (2006): Krisenarten und Krisenursachen. In: T. Hutzschenreuter & Griess-Nega (Hg.): Krisenmanagement. Grundlagen, Strategien, Instrumente. 1. Aufl. Wiesbaden: Gabler Verlag, S. 43–66.
- Mast, C. (2008): Nach der Krise ist vor der Krise. Beschleunigung der Krisen-kommunikation. In: T. Nolting & A. Thießen: Krisenmanagement in der Mediengesellschaft. Potenziale und Perspektiven der Krisenkommunikation. 1. Auflage Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 98–111.
- Mitroff, I. I. (1994): Crisis Management and Environmentalism: A Natural Fit. In: California Management Review, H. 36(2), S. 101–113.
- Pearson, C. M., & Mitroff, I. 1. (1993): From crisis prone to crisis prepared. A framework for crisis management. In: Academy of Management Executive, H. 7(1), S. 48 – 59.
- Titelbild (ursprüngliches Bild von 柏翰 / ポーハン / POHAN)
- Schyns, V. (2011): Dior Manages Galliano Crisis by Protecting Its Reputation. URL: http://veroniqueschyns.com/2011/03/04/dior-manages-galliano-crisis-protecting-reputation-2/
- Smudde, P. M. (2001): Issue or Crisis: A Rose by Any Other Name… In: Public Relations Quarterly, H. 46(4), S. 34–36.
Schöne Beobachtung. Überleg’ mir jetzt gerade, ob ich nicht eine Master Thesis ausschreiben soll, die den Zusammenhang zwischen Individuum und Organisation etwas näher thematisiert, also auf die Frage eingeht, was denn beispielsweise die Entlassung eines Stardesigners letztendlich für die Organisation bedeutet. Neben dem offensichtlichen Reputationsschaden hängen doch nun sicherlich auch Organisationsstrukturen und -prozesse in der Luft. Und gegebenenfalls schlägt sich das Ganze auch im Verkauf der Kollektion nieder …